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Netz und Struktur der Integrationsfachdienste in Deutschland

Gemäß dem Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Konvention) anerkennen die Vertragsstaaten das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Arbeit; dies beinhaltet das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen inklusiven und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld frei gewählt oder angenommen wird. Die Vertragsstaaten sichern und fördern die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit durch geeignete Schritte. Hierzu zählt u. a. der Erlass von Rechtsvorschriften, um Menschen mit Behinderungen einen wirksamen Zugang z. B. zu allgemeinen fachlichen und beruflichen Beratungsprogrammen, Stellenvermittlung sowie Berufsausbildung und Weiterbildung zu ermöglichen.

In Deutschland sind in den Sozialgesetzbüchern, insbesondere im Sozialgesetzbuch IX, die entsprechenden Regelungen dargelegt. Dabei sind in Teil 3 Ausführungen zu den Integrationsfachdiensten geregelt, die zur Teilhabe behinderter oder schwerbehinderter Menschen[1] am Arbeitsleben nach §§ 192 ff. SGB IX als Dienste Dritter, beteiligt werden können.

(Sozial-) Leistungsträger (gemäß § 12 in Verbindung mit § 29 SGB I) können allgemein Dienste Dritter bei der Ausführung der Sozialleistung zur Ausführung ihrer Leistungen hinzuziehen (§§ 89 und 97 SGB X).

Nach § 185 Absatz 2 Satz 5 SGB IX kann das Integrationsamt Integrationsfachdienste bei der Durchführung begleitender Hilfen im Arbeitsleben beteiligen. Zur Finanzierung gelten hier die Regelungen des § 28 SchwbAV. Da es sich um ein weisungsgebundenes öffentlich-rechtliches Angebot handelt, sollen Leistungen in der Regel bis zur vollen Höhe der notwendigen Kosten erbracht werden.

In der Praxis bedeutet dies, dass die Integrationsämter dafür verantwortlich sind, flächendeckend Integrationsfachdienste mit möglichst vereinheitlichten Strukturen vorzuhalten. Ziel ist es, dass alle potenziellen Auftraggeber die Integrationsfachdienste zu gleichen Bedingungen nutzen können. Diese so genannte Strukturverantwortung wurde zum 01.01.2005 durch den Gesetzgeber von der Bundesagentur für Arbeit auf die Integrationsämter übertragen. Verwiesen wird hierzu auch die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen (Drucksache 15/2318 vom 09.01.2014).

Eine wörtliche Aussage zur Strukturverantwortung enthält das SGB IX nicht. Im Gesetzestext selbst wird die Strukturverantwortung der Integrationsämter aber an einigen Regelungen im SGB IX deutlich, die typische Bestandteile einer einzelfallübergreifenden Aufgabe normieren.

So sollen laut § 194 Absatz 5 SGB IX die Integrationsämter darauf hinwirken, dass die berufsbegleitenden und psychosozialen Dienste bei den Integrationsfachdiensten konzentriert werden. Dies bedeutet, dass in der jeweiligen Region nur noch einen einheitlichen Integrationsfachdienst geben soll, eine Trennung in verschiedene Aufgabenbereiche erledigende Integrationsfachdienste soll somit nicht mehr erfolgen.

Gemäß § 196 Absatz 3 SGB IX wird der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) die Federführung bei der Vereinbarung der Gemeinsamen Empfehlung zur Klärung der Zusammenarbeit und zur Finanzierung der Kosten, die dem Integrationsfachdienst bei der Wahrnehmung der Aufgaben der Rehabilitationsträger entstehen, übertragen.

Nach § 1 Absatz 2 der Gemeinsamen Empfehlung „Integrationsfachdienste“ liegt die Strukturverantwortung für die Integrationsfachdienste beim Integrationsamt[2]. Das Integrationsamt sorgt im Rahmen seiner Strukturverantwortung dafür, dass das komplette Dienstleistungsangebot nach § 193 SGB IX für alle Personengruppen nach § 192 SGB IX sowie unter Einhaltung der fachlichen Anforderungen nach § 195 SGB IX im Sinne des § 28 Absatz 1 Nummer 2 SGB IX für alle Vereinbarungspartner der Gemeinsamen Empfehlung „Integrationsfachdienste“ vorgehalten wird.

Als strukturverantwortliche Stelle trägt das Integrationsamt somit dafür Sorge, dass der Integrationsfachdienst (IFD) für verschiedene Leistungsträger zur Verfügung steht und seine Beteiligung nach einheitlichen Grundsätzen erfolgt.

Hiervon abzugrenzen ist die Verantwortung im Einzelfall, die beim jeweiligen Leistungsträger verbleibt.

Zur Qualitätssicherung der Arbeit in den Integrationsfachdiensten hat die BIH im Rahmen der Strukturverantwortung der Integrationsämter das Qualitätsmanagement-Referenzmodell „KASSYS“ entwickelt. Grundlage hierfür ist § 37 SGB IX, der vorsieht, dass die Rehabilitationsträger ein effektives Qualitätsmanagement zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der Leistungen vereinbaren sollen (siehe hierzu auch die Ausführungen zu der Gemeinsamen Empfehlung „Integrationsfachdienste“).

Qualitätsmanagement

Im Qualitätsmanagement (QM) werden alle organisatorischen Maßnahmen verortet, die der fortlaufenden Verbesserung der Prozessqualität, der Leistungen und damit den Produkten (Ergebnissen) jeglicher Art dienen. Der Begriff Leistungen betrifft im QM vor allem die innerorganisatorischen Leistungen.

Zu den Inhalten des QM zählen:

  • Optimierung von internen und externen Kommunikationsstrukturen,

  • Professionelle Lösungsstrategien,

  • Erhaltung oder Steigerung der Zufriedenheit von Kunden oder Klienten,

  • Erhaltung oder Steigerung der Motivation der Mitarbeitenden,

  • Standardisierungen und gezielte Weiterentwicklungen bestimmter Handlungs- und Arbeitsprozesse,

  • Normen für Produkte oder Leistungen,

  • Dokumentationen,

  • Berufliche Weiterbildung,

  • Ausstattung und Gestaltung von Arbeitsräumen.

QM führt nicht zwangsläufig zu einem höherwertigen Ergebnis, sondern stellt nur die vorgegebene Qualität sicher.

Es gibt eine Reihe von Qualitätsmanagementnormen bzw. Business-Excellence-Modellen, welche als verpflichtende Vorgabe oder auch als Rahmen für die Etablierung eines QM herangezogen werden. Die Nutzung der verschiedenen Qualitätsstandards zeigt starke regionale und branchenspezifische Unterschiede. Die bekanntesten Qualitätsmanagementmodelle sind das EFQM-Modell (Enterprise Quality Feedback Management) sowie die DIN EN ISO 9001, die beide Schnittmengen in der Prozessorientierung haben.

Zentrales Anliegen des EFQM-Modells ist die stetige Verbesserung der Qualität mittels Innovation und Lernen in allen Unternehmensteilen, auch in Zusammenarbeit mit anderen EFQM-Anwendern. Die Orientierung erfolgt an den Besten. EFQM lässt sich auch auf Dienstleistungs- und soziale Einrichtungen anwenden.

QM ist ein selbstreferenzieller Prozess, das heißt, die Verfahren zur Verbesserung des jeweiligen Gegenstands lassen sich auch auf den Qualitätsmanagementprozess selbst anwenden.

Die internationale Norm DIN EN ISO 9001 bietet eine gute und zielführende Orientierung, um ein funktions- und leistungsfähiges Qualitätsmanagementsystem professionell aufzubauen. Die Norm beinhaltet Mindestanforderungen an ein QM-System. Die Organisation zeigt ihre Fähigkeit auf, Produkte und Dienstleistungen bereitzustellen, die die Kundenerwartungen und die gesetzlichen Anforderungen erfüllen. Für den Aufbau eines QM-Systems liefert die DIN EN ISO 9001 eine zielführende Orientierung, auch wenn sich der IFD hiernach nicht zertifizieren lässt.   

Im QM werden Beschreibungen für Qualitätspolitik, Ziele und Verantwortlichkeiten festgelegt, wobei auf die fortlaufende Verbesserung der Prozesse geachtet wird. Erfahrungen daraus fließen wieder zurück in die Planung. Daraus entsteht folgender Regelkreis:

Bei der Durchführung von Audits wird zwischen internen und externen Audits unterschieden. Im Zusammenhang mit einer Zertifizierung nach DIN EN ISO 9001 oder einer AZAV-Zulassung bedarf es immer eines externen Auditors. Durch diesen sollen Unparteilichkeit und Objektivität sichergestellt werden.

Qualitätssicherung mit KASSYS

In der Diskussion zur Qualität von sozialen Dienstleistungen werden seit geraumer Zeit Standards in der Organisation und zur inhaltlichen Umsetzung gefordert. Diesem Umstand hat der Gesetzgeber auch in § 194 Absatz 4 SGB IX Rechnung getragen, indem er Maßnahmen zur Qualitätssicherung als gemeinsame Aufgabe der Auftraggeber und der Auftragnehmer festgeschrieben hat.

QM gehört zu den Kernaufgaben des Integrationsfachdienstes; durch QM soll die Effektivität und Effizienz der angestrebten Prozessziele im Integrationsfachdienst erhöht werden. Dabei gilt es, materielle und zeitliche Vorgaben zu berücksichtigen sowie die Qualität von Produkten oder Dienstleistungen zu erhalten oder weiterzuentwickeln.

Die Anforderungen an ein QM bildet KASSYS ab. Dabei formuliert und strukturiert KASSYS die Anforderungen an Führung/Management, Kernprozesse und Ergebnisse in Form eines Rahmenhandbuches. Das Rahmenhandbuch bildet die bundesweit geltenden Regelungen ab; diese werden durch länderspezifische Regelungen ergänzt bzw. konkretisiert. (Siehe auch 1.1 Grundsätzlicher Aufbau von KASSYS) 

Voraussetzung für die Beauftragung und/oder Beteiligung des Integrationsfachdienstes im Rahmen der Teilhabe am Arbeitsleben bzw. der begleitenden Hilfen ist die Umsetzung der in KASSYS genannten Qualitätsaspekte und Maßnahmen. Die Anwendung von KASSYS in den Integrationsfachdiensten ist somit verpflichtend.

Durch die bundesweite Anwendung von KASSYS soll ein vergleichbarer Standard bei der Erbringung der Dienstleistungen gewährleistet werden.

Das Integrationsamt versteht in diesem Prozess seine zentrale Steuerungsrolle in Verbindung mit seiner gesetzlichen Verpflichtung als strukturverantwortlicher Auftraggeber insbesondere in Bezug auf die Verpflichtung aller Beteiligten zur Qualitätssicherung und deren Weiterentwicklung. Die Integrationsämter prüfen, ob KASSYS in den Integrationsfachdiensten Anwendung findet.

Das vorliegende Handbuch leistet einen Beitrag zur Sicherung und zur fortlaufenden Weiterentwicklung der Qualität der erbrachten Dienstleistungen der Integrationsfachdienste, indem es z. B. Voraussetzungen und Anforderungen an Integrationsfachdienste bzw. deren Träger formuliert, Kernprozesse im Rahmen der IFD-Tätigkeit beschreibt und evaluiert und Maßnahmen zur Qualitätssicherung in den Blick nimmt.


[1] Die Inhalte des vorliegenden KASSYS-Rahmenhandbuches beziehen sich in gleichem Maße auf Frauen und Männer sowie auf Menschen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen. Weiterentwicklungen in Bezug auf gendergerechte Sprache werden in die kontinuierliche Überarbeitung des KASSYS-Rahmenhandbuchs Einzug halten. Aktuell wurde jedoch die männliche Form für alle Personenbezeichnungen gewählt. Die weiteren Formen werden dabei stets mitgedacht.

[2] Im vorliegenden KASSYS-Rahmenhandbuch wird regelmäßig der im Sozialgesetzbuch Neuntes Buch genannte Begriff „Integrationsamt“ verwendet. Die in einzelnen Bundesländern vorgenommene Umbenennung in „Inklusionsamt“ wird dabei stets mitgedacht. Bei den länderspezifischen Ausführungen verwenden die Integrationsämter die jeweils für sie geltende Bezeichnung.

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